Nach Nordthailand. Da muss man hin, wenn man das ursprüngliche Thailand sehen will. So ein Unsinn. Immer wohin müssen, ständiges Planen, permanentes Denken. Die Städte Chiang Mai, Pai und Mae Hong Son sind schon längst Knotenpunkte des Massentourismus in Thailand. Alles schöne Orte. Wer aber das touristische Programm wechseln möchte, sollte mit der Umstellung seiner eigenen Denkprogramme beginnen. Unabhängig vom Ort.
Auf der Suche nach dem letzten goldenen Haar
Meine zwei Tage im hippen Pai waren genial. Aber selbst hier am Land war das Angebot auf alternativen Rucksacktourismus ausgerichtet. Zwar anders gekleidet, aber weiterhin berechenbar und verpackt. Irgendwie war mir das noch immer zu viel weiße Haut und goldenes Haar. Und weil ich nicht nur als passiver Genussmensch so weit gereist war, wollte ich weiter. Der nächste Bus ging nach Mae Hong Son. Und schon kaufte ich das Ticket für die vierstündige Busfahrt.
In Mae Hong Son wollen die Menschen sehen, was schon dargestellt wurde. Dort wird der Karen-Stamm mit seinen langhälsigen Frauen als Hauptattraktion zur Schau gestellt. Eigentlich ein Menschenzoo. Wo Touristen mit ihren langen Tele-Objektiven oft respektlos nur das Image reproduzieren wollen, das sie eigentlich schon aus Broschüren kennen. Die fremden Menschen werden zu Objekten. Sie bleiben fremd. Nach zwei Stunden Busfahrt stieg ich deshalb aus. Einfach so. Irgendwo. Und da stand ich nun. Alleine am Straßenrand in einem Ort namens Soppong.
Aufbruch in den Dschungel
Obwohl ich eigentlich vor ihnen geflüchtet war, stand auf der anderen Straßenseite schon wieder ein Farang (thail.: Tourist). Als ob es das Schicksal so wollte: immer noch mit goldenem Haar und blauen Augen. Zufällig waren wir beide auf dem Weg zu einem Essensstand – und so kamen wir ins Gespräch. Ecki, war sein Name. Ein deutscher Banker aus Nordrhein-Westfalen, der seit acht Jahren seine Rente mit seiner Frau in Soppong genießt. Ecki war toll. Denn Ecki erzählte mir von einem idyllischen Dorf nahe der burmesischen Grenze, wo bestimmt noch kein Farang gewesen sei: „Klingt gut. Da gehe ich hin“, sagte ich.
Aber Ecki warnte: „Das ist militärisches Sperrgebiet.“ Die ersten 5km nach Mae Lana könne ich noch zu Fuß gehen. Für die restlichen 15km brauche man aber eine Sondergenehmigung. Und schon ging ich los. Das Ziel an sich war mir ja völlig egal. Ich wollte einfach davon treiben und sehen was dabei herauskommt. In Mae Lana angekommen sah ich einen riesigen Tempel. Gerade fand ein buddhistisches Retreat (Exerzitium) darin statt. Ohne ein Wort zu verstehen, setzte ich mich leise zwischen die Menschen. Eine Stunde lang. Beobachtete nur. Noch ein Spaziergang im Dorf. Und ich kam zum Schluss: „Eigentlich könnte ich hier bleiben.“ Bis plötzlich zwei Soldaten auf ihren Motorrädern vor mir Halt machten.
Ohne Genehmigung in die militärische Sperrzone
Die beiden Soldaten hielten zum Glück nicht wegen mir, sondern wegen der Tankstelle vor mir. Und an dieser Stelle beschloss ich, in die Offensive zu gehen. Ich stellte mich ganz dumm und fragte sie nach dem richtigen Weg zum Dorf Ban Huai Hia. Das war völlig absurd, weil es ganz offensichtlich nur eine einzige Straße gab und sie direkt vor uns lag. Damit wollte ich aber ihre Reaktion testen. Schließlich war es ja verboten, so tief in die militärische Sperrzone einzudringen. Die beiden Soldaten verstanden zwar kein Wort Englisch. Wohl aber, was ich vorhatte.
Und plötzlich nahm mir der eine Soldat meinen Rucksack ab. Für einen Augenblick wusste ich nicht, was ich davon halten soll. Aber dann meinte der andere Soldat, dass ich mit ihm mitfahren kann. Unfassbar! Ich hatte eigentlich auf eine Ausnahme gehofft. Dass mich jetzt aber das Militär höchstpersönlich in sein Sperrgebiet kutschiert, fand ich ausgesprochen cool. Mein Rucksack auf dem einen Motorrad. Und ich auf dem anderen. Bergauf mussten wir bei jedem kleinen Hügel absteigen und mit aller Kraft schieben. Monsunregen hatte in den letzten Tagen die Dschungelstraße in tiefen Schlamm verwandelt. Nach etwa einer Stunde setzten sie mich bei einem Kontrollpunkt ab und fuhren weiter. Ban Huai Hia lag jetzt vor mir.
Ankunft in einer neuen Welt
Ich zögerte. Bevor ich doch am unbewachten Militärposten und Schranken vorbei ging. Hinunter. Immer weiter. Bis ich das Dorf sah. Es waren vielleicht zehn Hütten. Nicht mehr. Und da stand ich nun. Nicht den geringsten Schimmer wo ich eigentlich gelandet bin. 2011 konnte man das Dorf nicht einmal googeln. Auch das GPS-Signal funktionierte nicht. Ich war jetzt einfach da. Unabhängig. Bedingungslos. Am anderen Ende des Weges sah ich nun einen Buben Fußball spielen. Und wenig später sah ich die ersten Menschen aus den Häusern kommen. Und dann geschah es.
Erste Reaktionen im Dorf
Gut möglich, dass ich für manche der erste weiße Mensch in dieser militärischen Sperrzone war. Dennoch strahlten mich die Menschen in dem Dschungeldorf an. Und zwar auf eine Weise, die ebenso heiter wie gelassen war. Niemand himmelte mich an, wie das vielleicht im Kibera Slum von Nairobi der Fall gewesen sein mag. Dort gingen die positiven Emotionen hoch. Wildes Tanzen um einen weißen Exoten begleitet von lautem Lachen.
Zwar waren auch hier die Leute sichtlich überrascht, als sie mich entdeckten. Aber sie lachten nicht. Gelegentlich ein paar neugierige Blicke, aber sie gingen ihrer üblichen Beschäftigung nach. Ich wurde nicht empfangen. Sondern akzeptiert. Und sie ließen mich weiterhin frei in ihrem Dorf bewegen, ohne Fragen zu stellen. Befreit vom Zwang, Kontrolle auf den Lauf des Lebens ausüben zu müssen. Als wäre ich schon immer da gewesen.
Von der Kunst mit schwarzen Zähnen zu lächeln
Einige Dorfbewohner hatten ganz schwarze Zähne. Zugegeben. Das hat mich anfangs negativ beeindruckt. Und trotzdem ließ ihr Anblick mein Herz höher schlagen. So habe ich noch keine Menschen blicken und lächeln sehen. So frei, so gütig, so ruhig, so offen und so verborgen. Dass auch ich wünschte, so lächeln zu können. Bis es die Zehen durchströmt. Zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich hier an diesem Ort erkennen, was Reichtum wirklich bedeutet.
Im Inneren angekommen. Zufrieden sein. Wo, was und wie man gerade ist. Befreit von Gedanken und Erwartungen. Einverstanden mit dem Leben. Gesunde Zähne zu haben ist ganz wichtig. Ohne jeden Zweifel. Viele machen allerdings ihr Glück vom Äußeren abhängig. Haare, Zähne, Gewicht, Kleidung oder Geld werden zur Messlatte. Andere glauben wiederum, sie hätten es nicht verdient, glücklich zu sein. Weil sie vielleicht etwas Schlimmes gemacht haben und es sich nicht verzeihen können oder ihnen ihr Selbstwertgefühl von jemand genommen wurde. Innerer Reichtum kennt diese Mängel nicht. Jeder Mensch hat die uneingeschränkte Lizenz zum Glücklichsein. Überall. Jederzeit. Begründet oder völlig unbegründet.
Wie es nach dem Lächeln weiterging…
Noch weiter unten sah ich eine Schule. Da wollte ich hin. Auch ein Mann stand davor. Lehrer. Der mich überrascht, aber ebenso gütig und herzlich anlächelte. Er verstand kein Wort Englisch. Mir fiel nichts besseres ein, als auf meinen Magen zu deuten. Ich hatte nämlich Hunger. Oh ja, Bärenhunger. Ich hatte völlig aufs Essen vergessen. Sofort bot er mir einen Stuhl an und zeigte mit den Händen, dass er nichts zu essen habe, aber mir gleich etwas besorgen werde. In der Zwischenzeit überlegte ich. Weder konnte ich heute zurück nach Soppong, noch hatte ich eine Übernachtungsmöglichkeit organisiert. Spontan kam mir dann eine Idee.
Ich würde seinen Schülern Englisch- und Sportunterricht anbieten. Und im Gegenzug darf ich in der Schule schlafen. Nach knapp einer Stunde kam er zurück. Mit einer Schale voll Reis, Bambus, Pilzen, einem Ei und irgendwelchen Blättern. Ganz einfach Nahrung aus der Umgebung. Ich war zu Tränen gerührt. Dann schlug ich ihm mit Händen und Füßen den Deal vor. Und dann war er es, der zu Tränen gerührt war. So wurde ich die nächsten Tage spontan zum Englisch- und Sportlehrer im tiefen Dschungel. Und durfte mit Kindern zusammenarbeiten, die ich noch heute ganz lebhaft vor mir sehe und spüre. Dieses Lächeln, das ging übrigens nie vorbei…
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