Iquitos ist nur mit dem Flugzeug oder per Schiff über den Amazonas zu erreichen. Mitten im größten Regenwald der Welt führt die einzige Straße von Iquitos zum Kreuzungspunkt der beiden Hauptquellflüsse des Amazonas nach Nauta. Und dort stiegen wir ins Boot. Oder besser gesagt in eines der größten Abenteuer meines Lebens. Andrés – in diesen drei Tagen unser Reiseführer und der bis heute beste Guide, den ich je hatte – wusste vor seinem 20. Lebensjahr nicht einmal wie eine Stadt aussieht. Er wuchs mit dem Regenwald und seinem Vater auf, der noch Pumas zum Abendessen auf den Teller servierte. Andrés wusste nicht nur alles über sein grünes Wohnzimmer, er kümmerte sich auch um alles. Wir waren bereit.
Schwimmen im Amazonas
Schwimmen. Piranhas, Kaimane und Vampirfische. Viele Gefahren lauern im wasserreichsten Fluss der Erde. „Darf ich im Amazonas schwimmen?“, fragte ich Andrés ohne mir dabei Naivität unterstellen zu können. Wenn jemand wusste, wie man risikofrei im Amazonas schwimmt, dann die Indios. „Natürlich“, antwortete er. Schon war ich im braunen Nass.
Meine Schwimmpartner im Amazonas
Über mögliche Gefahren klärte uns Andrés davor auf: Kaimane (Krodokodilart, die bis zu 6m lang wird) halten sich eigentlich nur in Ufernähe auf. Genauso wie Vampirfische. Sie werden erst zur Gefahr, wenn man selber Fehler macht. Zum Beispiel nacktes Urinieren unter Wasser. Dabei entsteht eine Strömung, die der aalförmige Fisch mit den Kiemen anderer Fische verwechselt und ihr instinktiv durch urogenitale Öffnungen von Männern und Frauen folgt. Weil er sich dort wie gewohnt mit seinem Haken verankert und nach Blut saugen will, können im Penis höllische Schmerzen entstehen, was beim Mann letztlich nur operativ entfernt werden kann. Auch das Schwimmen in Flüssen mit einer hohen Piranha-Dichte ist bedenkenlos möglich. Piranhas fressen kranke und tote Tiere und säubern als Gesundheitspolizei die Gewässer von Kadavern. Nur sollte man selbst keine offenen Wunden haben oder bluten. Mit ihren scharfen Zähnen beißen sie sich am Opfer fest und reißen mit ihren Rüttelbewegungen ganze Fleischstücke heraus.
Ich musste mich also nicht mehr fürchten. Ich war nicht nackt, nicht in Ufernähe, hatte keine Wunden und urinierte auch nicht. Und als ich fröhlich vor mir herschwamm, begann Andrés auf eine ganz sonderbare Art und Weise zu pfeifen. „Die Delfine kommen“, schrie er mir zu. Wenig später sah ich schon den ersten rosa Flussdelfin vor mir auftauchen. Ich zersprang fast vor Freude. Im braunen Wasser konnte man nie erkennen, wo sie gerade sind. Aber ich spürte sie immer dicht an mir vorbeischwimmen. Das machte es noch aufregender. Und wenn sie auftauchten, war mein Grinsen besonders breit.
Zu Besuch im Amazonas Regenwald
Moskitos. Giftige Moskitosprays mit höchstem Deet-Faktor. Und zwei dicke, lange Sweater. So sah meine Rüstung aus. Tagsüber brauchte ich beides nicht. Auch nicht bei Spaziergängen durch den Regenwald. Erst vor Einbruch der Dunkelheit trug ich das Gift so dick auf meiner Haut auf, dass die Finger klebten. Was sich im sumpfigen Amazonas-Regenwald nachts abspielt, sucht seinesgleichen. Nicht einmal an meinem Sandwich konnte ich abbeißen, weil mir sonst der Mückenschwarm in den Rachen geflogen wäre. Einmal waren wir nachts zwei Stunden am Fluss und an Land zwischen Tümpel unterwegs. Zurück gekommen bin ich mit gefühlt 300 Mückenstichen. Unterhalb durch die Hose, oberhalb durch zwei dicke Sweater und klebrig-giftiger Haut.
Tagsüber. Andrés war fantastisch. Mit seiner Machete schnitt er uns tagsüber in einem Amazonas-Nebenfluss den Weg durch dichte Wasserpflanzen und zwischen lauernden Kaimanen frei, bis wir im Wald ein Anaconda-Nest fanden. Als ich einmal leichte Magenbeschwerden bekam, presste er aus einer bestimmten Baumrinde roten Medizinsaft heraus. Wasser tranken wir zwischendurch aus der Katzenkrallen-Liane. Auch das Essen besorgte er unterwegs. Für den kleinen Hunger klopfte er aus einem bestimmten Holz weiße Larven heraus, die wir auf einem Stängel aufspießten und über seinem selbstgemachten Pflanzengrill zu knusprigem Protein brieten. Für den großen Hunger gingen wir angeln. Während Andrés einen Fisch nach dem anderen herausholte, zersägten mir die Piranhas unter vibrierendem Griff meine Köder an der Angel. Als ob diese Eindrücke nicht schon fürs ganze Leben reichen würden, passierte das Spektakulärste bei Nacht.
Lauernde Gefahren bei Nacht
Nachts. Den Wecker stellten wir auf 23:00. Mit müden Augen richtete ich mich auf und ging zu meinen Stiefeln. Vorher schaltete ich meine Taschenlampe ein. Man kann ja nie wissen. Und plötzlich war da eine 15cm große Tarantel in meinem Stiefel. Das hätte schmerzhaft werden können. Draußen am Boot kreisten Vampirfledermäuse über uns. Andrés war besonders aufmerksam. Plötzlich sah er eine Schlange. „Wo?“, schrien wir alle gleichzeitig auf. Mit seiner Lampe leuchtete Andrés aufs andere Ufer. Jetzt musste er sich irren, das Ufer war doch 20m entfernt. Als wir näher ruderten sahen wir tatsächlich eine 30cm kleine Boa in den Ästen hängen. Etwas weiter erspähte Andrés einen Baby-Kaiman und fing ihn vom Boot mit bloßen Händen. Sensationell. Auch ich durfte ihn kurz halten, bevor wir ihn wieder ins Wasser schmissen.
Allmählich wurde der Flusslauf zu eng für unsere Ruder, und wir mussten uns an den Baumstämmen voran stoßen. Und dann passierte es: ein Stich. Höllische Schmerzen in meinem Finger. Unter Panik zeigte ich Andrés die Stelle. „Alles gut. Nur ein Skorpion.“ Ganz beruhigen konnte mich das nicht. Aber vertraut habe ich ihm vollkommen. Spucken. Einreiben. Spucken. Einreiben. Ohne Pause. Sagte er. Eine Stunde lang hatte ich richtig große Schmerzen. Dann wurde mein Finger doppelt so dick. Die nächsten 24 Stunden hatte ich kein Gefühl mehr im Finger. Erst danach war der Spuk vorbei. Nach meinem Skorpion-Stich trieben wir noch eine Weile weiter am Fluss entlang. Und dann sprang auf einmal ein Silber-Piranha in unser Boot direkt vor meine Füße.
Frosch im Ohr
Während wir noch über die Flugkünste von Piranhas scherzten, sprang mir plötzlich etwas ins rechte Ohr und bewegte sich schnell. Jetzt reichte es langsam mit den Überraschungen. Schließlich hatte ich nicht die größten Ohren. Panikartig versuchte ich das Tier herauszubekommen. Was wenn es giftig war? Und dann landete es am Boden. Wir mussten ganz genau hinsehen. Es war ein Frosch. Nicht größer als ein Fingernagel. Großes Gelächter brach aus. Wem passierte es schon innerhalb von nur fünf Minuten, dass ihn ein Skorpion sticht, ihm ein Piranha vor die Füße springt und ein Frosch im Ohr landet?
Wieder auf festem Boden und absoluter Finsternis zeigte uns Andrés Jagdtechniken. Einen 25cm großen Ochsenfrosch hat er gerade entdeckt und fragte, wer ihn fangen will. „Ich“. Ob aus reiner Lernfreude oder aus Revanche, da war ich mir selbst nicht mehr so sicher. Andrés gab mir die Anweisung: 5cm Abstand zwischen Daumen und Zeigefinger halten. Fest anspannen. Langsam von hinten anschleichen. Und schnell wie eine Schlange zupacken. Gesagt, getan. Das Muskelpaket befand sich in meinen Händen. Ich ließ ihn aber schnell wieder frei.
Frühstück
Auf dem Weg zurück zu unserer Lodge blieb Andrés dann plötzlich stehen. „Was siehst Du?“, fragte ich. „Meerschweinchen. Fünf Meter entfernt.“ Ich sehe nichts. Zu finster. „Du willst es fangen?“ Aber meine Frage war überflüssig. Andrés nahm den Speer. Jetzt sah ich das winzige Tier. Es sprang noch zwei Meter weiter. Uns amüsierte es. Nur der Gedanke daran, das Nagetier aus sieben Metern Entfernung bei dieser Dunkelheit zwischen den hohen Pflanzen zu treffen, war absurd. Andrés warf den Speer. Und wir trauten unseren Augen nicht. Ein glatter Durchschuss durch den Schädel. Und zwar so glatt, dass es nicht einmal blutete. Ich fragte Andrés: „Frühstück?“ „Frühstück.“
Mehr Fotos findest Du hier unter Iquitos.
Hinterlasse einen Kommentar