Im November 2023 unternahm ich den Versuch einer Solo-Besteigung des höchsten Berges im Irak: Halgurd (3.6o7m).
Nur eine Schotterpiste führt nach dem Ort Choman auf etwa 900m Seehöhe über diese Eisenbrücke hinauf.
Die Straße war nicht für meinen 2wd-Nissan mit wenig Bodenfreiheit gemacht. Mit etwas Geschick schaffte ich es aber hinauf und parkte auf etwa 1.600m. Was knapp 15km Fußweg zum Gipfel und 2.000m Höhenaufstieg für mich bedeuten…
Mit einem 4wd-Geländewagen lässt es sich an der Westflanke bis 3.000m Seehöhe fahren – von dort sind es nur 600 Höhenmeter zum Gipfel. Die unbefestigten und stark erodierten und ausgewaschenen Straßen mit vielen Gesteinsbrocken sind für den Wanderer in Ordnung. Also: auf geht’s für mich zur 4x so langen und hohen Ostroute.
Nach 3h Fußmarsch ohne Pause hatte ich 10km hinter mir und mit 1.400 Höhenmeter die 3.00er-Marke erreicht. Man atmet schneller und tiefer. Irrwitzig, dachte ich mir, dass andere erst hier mit der Anstrengung beginnen 😀
Die außergewöhnliche Landschaft motivierte mich sehr.
Ich musste aber fokussiert bleiben: hier gibt es überall Minenfelder. Außerdem gibt es keinen Weg, keine Schilder. Ohne funktionierenden GPS-Tracker hätte ich mich alleine nicht getraut – selbst die erfahrenen lokalen Schafhirten sterben hier, weil sie auf eine Mine treten.
Mit ausgezeichnetem GPS-Signal folge ich strikt der Route von maps.me auf meinem Smartphone. Und trotzdem passiert es…
Plötzlich sehe ich ein Schild mit Totenkopf-Warnung: Minen! Ich sah mich um – und ich stand mittendrin. Vor mir, links, rechts und hinter mir ein Schild. Erst einmal starr vor Schreck, regungslos, blieb ich ruhig, achtete bei jedem weiteren Schritt auf den Boden und versuchte vorsichtig da wieder heraus zu kommen…
Als ich das überlebt habe, machte ich meine erste Pause, um nachzudenken. Vertrauenswürdige westliche Wanderrouten können also durch Minenfelder führen. Interessant… Ich sah mich um. Das Wetter wurde rapide schlechter. Und nach 4h Fußmarsch lag das steilste Stück noch vor mir…
Auf über 3.000 Meter herrschten Minusgrade. Mit dem teils kräftigen Wind war es schon eiskalt. Ich hatte Glück, dass es in diesem Jahr noch trocken war. Normalerweise liegt hier schon im September Schnee.
Den Gipfel hatte ich schon abgeschrieben. Es war zu riskant: schlechtes Wetter, rutschige Felsen, keine Geländekenntnisse, alleine, Müdigkeit und keine Sicht im dichten Nebel – aber vor allem zu spät. Ich würde sonst wohl im Dunkeln zurück marschieren müssen.
Ein bisschen weiter kletterte ich dann doch noch – nur um zu sehen, wie der steile Aufstieg am Halgurd über die Felsen aussieht. Technisch nicht anspruchsvoll. Nur lauern heute andere Gefahren…
Auf knapp 3.300 Metern setze ich mich gegen 13:00 nach 6h Fußmarsch hin und blicke auf die Landschaft. Von hier sehe ich den Iran.
Gewaltige Landschaftsdramatik.
Ich bin sehr froh über meine Entscheidung, den Gipfel nicht zu brauchen. Auf dem Rückweg wurde mir nochmals klar, wie gut diese Entscheidung nach dem plötzlichen Wetterumschwung war.
Gegen 14:00 schrie plötzlich ein Mann aus der Entfernung: Herbei kommen soll ich. Ziemlich erschöpft hatte ich darauf keine Lust. Er zeigte aber auf seinen Bauch und symbolisierte, dass er mich zum Essen einladen will. Da bin ich leicht zu überreden 🙂
Absolut unglaublich! Dieser junge Bauer lebt auf 3.000m im Zelt mit seiner Frau. Ziemlich sicher die höchstgelegene Herberge im Irak.
Ich fiel erschöpft auf seinen Teppichboden. Als ich meine Augen aufmachte, standen frische Feldkartoffeln, Tomaten und Zwiebeln vor mir. Selten hat mir etwas so gut geschmeckt 🙂 Alles was die Umgebung hergab.
Obwohl wir kein Wort voneinander verstanden, konnten wir uns verständigen. Er erklärte mir zum Beispiel, dass überall dort, wo seine Tomatenfelder sind, keine Minen liegen. Saddam Hussein hatte die Berghänge im Zuge der ethnischen Säuberung von Kurden in den 1980ern vermint.
Als ich weiter abstieg, wurde mir bewusst, dass Halgurd ein Tomatenberg ist. Einfach unglaublich. Milliarden von Tomaten, die gerade geerntet werden…
Über mehr als 2h Fußmarsch änderte sich die Szenerie nicht: Tomaten überall.
Auch landschaftlich war diese Wanderung ein großes Erlebnis…
Zurück in der Stadt Soran hatte ich ordentlich Hunger – auch wenn ich unterwegs noch ein paar Feldtomaten zur Stärkung gegessen hab 😀
01/11/2023
Hinterlasse einen Kommentar