Unterschiedliche Höhenlevel:
- Große Höhen (3.000m – 4.500m)
- Sehr große Höhen (4.500m – 6000m)
- Extreme Höhen (6.000m – 7.000m)
- Todeszone (>7000m)
Ab der kritischen Höhe von 5.300 Meter baut der Körper physisch und psychisch ab – ein Daueraufenthalt ist unmöglich. Einen wirklich großen Berg zu besteigen, ist nicht nur Schinderei. Es setzt auch jede Menge geistiger Reife voraus.
Majestätisch, das Antlitz des Huayna Potosi. Was für eine Wucht von einem Berg.
Die Arbeitsbedingungen in Bolivien haben sich seit der Kolonialzeit kaum verändert. Seit Jahren gibt es regelmäßige Streiks. In meinen zwei Wochen in La Paz konnte niemand ein- und ausreisen. Mit Dynamit blockieren die Arbeiter die Straßen. Es ist die einzige Möglichkeit für sie, auf sich aufmerksam zu machen. 2 Menschen sterben.
Mit einem Toyota Landcruiser fahren wir zum Basislager vor.
Nach dem Mittagessen wollen wir am unteren Gletscherrand für den Nachtaufstieg üben. Noch nie zuvor in meinem Leben habe ich so etwas gemacht. Besser heute scheitern, als morgen 😉
Ich versuche mich gleich an einer senkrechten 90°-Wand.
Am Abend erzählt mir Miguel stolz von seinen früheren Frauengeschichten in Ecuador. “Dort sind die schönsten Frauen der Welt.” Ecuador? Da musste ich ihm widersprechen 😉
Am nächsten Tag steigen wir mit 15 kg Ausrüstung am Rücken 550 Höhenmeter die Felsen empor zu Lager 2 (5.270m).
Oben angekommen, frage ich Miguel: “Gibt es Tee?” – “Ja”, antwortet er und geht hinaus, kommt mit einem Eimer Schnee zurück und kocht ihn.
Den ganzen Nachmittag habe ich frei. Aus Eigendisziplin mache ich noch einen Spaziergang durch den Schnee bis auf 5.350 Meter. Ganz nach dem Motto: höher steigen – tiefer schlafen.
Jetzt bemerke ich, dass mir unterwegs meine Handschuhe aus der Jackentasche gefallen sind. Was für ein Dilemma! Ohne Handschuhe – kein Aufstieg! Etwas später kommt ein Schweizer an unserem Lager vorbei. Er kommt gerade vom Gipfel. Ich habe diesen Menschen noch nie zuvor gesehen. Ohne zu überlegen, gibt er mir seine, und fügt hinzu: “Dafür schuldest Du mir aber eine Linzer-Torte” (ich bin Linzer). Wo Mensch und Berg sich begegnen, ereignen sich große Dinge, die sich im Gedränge der Straßen kaum verwirklichen lassen.
Da geht es morgen nachts hinauf!
Ein Bergsteiger verewigte sich im Basislager mit einem Schriftzug an der Wand: “Ich habe es nicht auf den Gipfel geschafft. Aber ich machte einen Schneemann auf 5.800 Meter.” 🙂
Tag 2-3:
18.00: Abendessen
19.00: Bettruhe
00.00: Wecker läutet
01.45: Aufstieg
01.45: Wir starten. Etwas später als geplant.
Die zwei Japanerinnen und der Deutsche, mit denen ich in Lager 2 übernachtet habe, müssen etwas später schon umkehren. Heftige Kopfschmerzen und Übelkeit zwingen sie dazu. Mir geht es prima. Ich sehe ein Flugzeug. Es scheint fast auf Augenhöhe zu sein.
Miguel ist großartig. Im 5-Minuten-Takt bleibt er stehen und lauscht meiner Atmung. Ohne sich umzudrehen, hört er zu. Ist sie zu schnell, warten wir so lange, bis sich mein Puls beruhigt. Ist sie normal, gehen wir weiter.
Beim Gipfelgrat führe ich Selbstgespräche. Er ist nur 15-80cm breit. Links geht’s 300m senkrecht hinuntern, rechts 800m. Die letzten 88 Höhenmeter. Was für eine mentale Herausforderung!
Das Glück der letzten Schritte auf einen Gipfel, den man sich so lange gewünscht hat, ist nicht beschreibbar.
Der Moment, in dem ich den Gipfel erreiche. Ich blicke auf den höchsten Punkt, setze mich darauf und beginne zu weinen. Es gab nur einen Menschen, der an mich geglaubt hat: Ich.
Dieser Moment gehört mir allein – für immer. Auch der Geist wächst mit der Weite dieses Augenblicks.
Normale Gehzeit von Lager 2 (5.270m) bis zum Gipfel (6.088m): 6 Stunden. Miguel und ich gingen um 01:47 Uhr los und erreichten in völliger Finsternis um 06:03 Uhr den Gipfel. Etwas über 4 Stunden. Ziemlich schnell. Aber noch langsamer zu gehen, wäre für mich fast unmöglich gewesen. Oben warten wir bei eisigen -17°C eine halbe Stunde auf den Sonnenaufgang. Um mich warm zu halten: Liegestütz, Handstand, und ein weniger Ringen mit Miguel 🙂
Rechtzeitig zum Sonnenaufgang erreichen 1 Niederländerin, 1 Kanadier, 1 Schweizer und 2 US-Amerikaner ebenfalls den Gipfel. Nur 5 von insgesamt 14 Personen, die sich an diesem Tag den Gipfel zugetraut haben.
Beim Abstieg erkenne ich das tatsächliche Ausmaß der beiden Abgründe links und rechts von mir. Ich konzentriere mich wieder: Dieser Gipfel gehört mir erst, wenn ich unten bin. Vorher gehöre ich ihm.
Nicht immer ist Platz für beide Stiefel…
In den Bergen findet man das, was man selber in sich hat. Während meines 4-stündigen Aufstiegs ist mein ganzes Leben an mir vorbei gezogen. Ich habe an meine Jugend gedacht. An meine Eltern. An meinen Bruder. An meine berufliche Karriere. An meine sportliche Karriere. An das, was ich geschafft habe. An das, was ich nicht geschafft habe. An die schönsten Momente. An die grauenvollsten Momente. Beim Abstieg gab es in meinem Kopf eine völlige Leere. Abschließend einige Bildaufnahmen…
Einen ausführlichen Artikel zu dieser Besteigung findest Du hier Huayna Potosi 🙂
10/04/2014