In Nuristan werden sechs verschiedene Sprachen des Indoiranischen gesprochen. Sie ist eine der isoliertesten, spektakulärsten und abgeschiedensten Gegenden Afghanistans: und deshalb besonders interessant für mich.
Kaum ein Tourist verirrt sich in die südlichen Steilhänge des Hindukusch. Meine Mission: ich will das hinterste Dorf Afghanistans erreichen und fahre in den nordöstlichsten Gebirgsbezirk Nuristans: Bargi Matal 🙂
Während der 3-stündigen Autofahrt von Kabul nach Dschalalabad fahren wir in diesen Serpentinen durch eine Gravitationsanomalie – eine veränderte Erdanziehungskraft durch schief liegende Gesteine, Erze, veränderte Dichten oder ungleiche Tiefen der Erdkruste.
Mein Kumpel meinte, er könne spüren, dass das Auto schwerer sei. Solche Anomalien haben allerdings keine praktischen Auswirkungen.
Von Dschalalabad fährt man auf guter Straße noch etwa 4h Richtung Arandu (Grenzdorf Afghanistan-Pakistan).
Bei Kumar gibt es eine US-Militärbasis mit Flughafen. Seit dem Abzug der US-Truppen 2021 sind die Taliban an der Macht. Sie nutzen jetzt die Infrastruktur. Und ich seh’s mir an:
Weiter geht’s 🙂
Bei einer Pinkelpause fällt mir am Straßenrand etwas auf 😉
Die Landschaft im Nationalpark Nuristan wird immer schöner…
Kurz nach Asadabad meinten wir bereits das Ende unseres Nuristan-Roadtrips vor uns zu haben. Monsunregen brachte den Kunar-Fluss zum Überlaufen…
Ich versuche barfuß abzutasten, ob wir mit unserem Toyota Fordrunner vielleicht doch durchfahren könnten…
Können wir 😉 Übrigens: wenn Du ein Mietauto für Nuristan nehmen willst, dann nur einen höher gestellten Toyota Hilux. Alles andere macht keinen Sinn. Mit einem Fahrer reicht Dir auch ein Toyota Corolla im Afghanistan-Stil…
Wenn man das karge Afghanistan kennt, dann ist man hier völlig überwältigt vom saftigen Grün. Reisfelder! Unglaublich 🙂
In der Stadt Barikot kurz vor Arandu (Pakistan) machen wir Halt, weil wir einen Kfz-Mechaniker brauchen. Dann geht’s weiter.
Pakistan ist von unserem Auto nur 20 Meter entfernt:
Ab Arandu hört die Zivilisation auf – nun schüttelt es uns so richtig durch…
Obwohl uns nur 35km nach Kamdesh fehlen, brauchen wir dafür 3,5 Stunden.
Kamdesh erreichten wir nie. Als wir gegen 23:00 die extrem steile Felsbrocken-Straße sahen, verzichteten wir darauf und suchten Unterschlupf bei lokalen Bauern in einer Hütte bei Urmul.
Es war die beste Nacht meiner gesamten Afghanistan-Reise 🙂 Ich schlief in Urmul auf einem Holzbalkon direkt über dem reißenden Gebirgsfluss. Über mir leuchteten die Sterne – unter mir tobte das Wildwasser 🙂
Mein Schlafplatz im 5-Hütten-Dorf Urmul: es war mein Lieblings-Hotel in ganz Afghanistan 🙂
Um 6 Uhr morgens brachen wir auf: nach Barg-e-Matal sind es von Urmul nur 35km – was 4 Stunden Autofahrt bedeutet. Unsere Bremsen funktionierten nicht mehr gut, ein Stoßdämpfer war demoliert. Wir versuchten es langsam…
Es ist einfach nur ein Traum so eine isolierte Gegend zu bereisen…
Nach 3h Fahrt traf ich bei Capo eine Entscheidung: Umkehr. Mein Auto tönte laut und fühlte sich schlecht an. Jeder Meter weiter hätte doppelten Schaden für unser Auto bedeutet, inklusive Zeit-Kosten-Risiko, in Afghanistan fest zu stecken. Mein Streckenziel wäre Samanaknesha gewesen. Dort – am Straßenende – zeigt ein Kompass nicht exakt nach Norden, und man hätte den spektakulären 6.290 Meter hohen Kuh-e-Shashgal möglicherweise erblicken können.
Umzukehren bedeutet aber nicht, keinen Spaß mehr zu haben. Im Gegenteil 🙂
Außerdem hat mich das Dorf Manḏagal-e Suflá schwer beeindruckt: das will ich mir nun ausgiebig ansehen 🙂
Wahrscheinlich ist es eines der schönsten Dörfer Nuristans.
Es dauerte nur wenige Minuten bis sich herum sprach, dass ein Fremder im Dorf ist 🙂 Dann erreichten mich alle Dorfkinder.
Vor der Zwangs-Islamisierung im Jahr 1896 lebten hier die Kalasha von Nuristan: eine dardische Volksgruppe mit teilweise blonden Haaren und grünen Augen.
Kalasha-Frauen dürfen völlig frei in der Öffentlichkeit herum laufen – im politisch islamisierten Afghanistan sind sie unerwünscht.
Manche meinen, dass die Kalasha Nachkommen griechischer Besatzungstruppen unter Alexander dem Großen seien. Ihre Herkunft ist umstritten. Die meisten Kalasha haben sich mittlerweile 1 Tal weiter nach Chitral (Pakistan) zurück gezogen.
Mit einer Gefolgschaft von 20-30 Kindern spaziere ich durch das Hindukush-Dorf: die Menschen sind unfassbar herzlich.
Der Kulturreichtum Nuristans ist kaum zu fassen: hier werden 6 verschiedene Sprachen gesprochen Kati, Prasun, Ashkun, Waigali, Gambiri und Zemiaki. Nuristanis werden in den Augen der Taliban als Kafiris (Ungläubige) bezeichnet.
Selbst die Bauweise der Häuser fasziniert mich hier in Manḏagal-e Suflá: manche scheinen tempelförmig angelegt zu sein. Man könnte hier in der Hindukusch-Himalaya-Gebirgskette fast meinen, Übergangselemente der tibetanischen Architektur erkennen zu können.
Der Dorfälteste sagt, dass ich der erste Ausländer in diesem Jahr in seinem Dorf bin.
Was freut einen eine frische und warme Mahlzeit in Nuristan – und es gibt Omelette 🙂
Noch ein paar Dorf-Eindrücke…
Auch wenn sich unser Auto bei der Rückfahrt immer schlimmer anhörte, wir genießen diese einzigartige Gegend.
Die überschwemmte Straße mussten wir auf dem Rückweg natürlich nochmal passieren:
Als uns verschleierte Frauen am Wegrand bemerkten, drehten sie sich auch noch um 🙁
Die frühe Umkehr hat sich gelohnt. Nicht nur wegen des ausgiebigen Dorfbesuchs. Als wir gegen Mitternacht Kabul erreichten, hatte unser Auto einen Motorschaden. Rechtzeitig, um nicht verschollen zu sein und gut essen zu können 😉
Wem das viele Fleisch in Afghanistan zuviel wird: Darūnta – direkt am Darūnta-Staudamm – ist bekannt für guten Fisch (machli farosh).
01/08/2024
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